Zerrissenheit
Einerseits, diese kleinen, wundervollen Wesen. Sie brauchen Nähe, Aufmerksamkeit und meine ständige Begleitung. Ich möchte ihnen Sicherheit geben, denn davon werden sie ihr ganzes Leben profitieren. Ich möchte alles dafür tun, dass sie sich geborgen und vor allem angenommen fühlen. Ich möchte, dass sie sich nicht verstellen müssen, oder denken falsch sein. Auf der anderen Seite, bin ich. Ich vergesse mittlerweile schon oft, was meine Bedürfnisse überhaupt sind. Ich weiß, dass ich Ruhe brauche, Zeit für mich, Zeit für meine Hobbys. Dass ich das Bedürfnis habe zu essen, zu trinken, zu schlafen und auf Toilette zu gehen. Mein größtes Bedürfnis ist es, gesehen zu werden. Doch da ist kein Platz. Ich kann nicht gesehen werden. Ich bin begraben, versteckt unter den ganzen Bedürfnissen, die um mich herum sind. Ich weiß, dass mein Mann versucht, mich zu sehen. Doch er schafft es nicht, weil er sich selber durch diesen Wust von Bedürfnissen graben muss und dabei seine eigenen ebenfalls verliert. Bedürfnisorientiert bedeutet die Bedürfnisse von allen zu erfüllen. Aber wie weit lässt sich das mit Neurodivergenten Kindern umsetzen? Ihre Bedürfnisse, sind größer als die von anderen Kindern. Sie können nicht warten, jedes Bedürfnis ist unglaublich wichtig. Und was, wenn mehrere dieser Kinder zusammenkommen? Schon bei den Kindern fühlt sich oft eins nicht gesehen. Wie soll dann Platz dafür sein, dass ich oder mein Mann gesehen werden? Wir versuchen immer wieder umzudenken. Raum zu schaffen und einen Platz für jeden zu finden. Oft scheint es eine schier unlösbare Aufgabe zu sein. Der Alltag hat so viele Anforderungen an uns. Aber eben auch, an unsere Kinder. Ich habe Verständnis dafür. Ich wünschte, ich würde einen Weg sehen, der uns alle sichtbar macht. Aber bis dahin, versuche ich zumindest den Nebel etwas zu lichten. Damit wir überhaupt etwas sehen.
