Neurodivergenz

Individuell, frei, selbstbestimmt – so leben wir als Familie

Im Rahmen der Blogparade von Lena Kampfhofer, habe ich einen Beitrag zum Thema individuell, frei, selbstbestimmt – so leben wir als Familie geschrieben. Ein wundervolles und interessantes Thema, zu dem bisher viele sehr verschiedene und individuelle Beiträge geschrieben wurden. Ich freue mich, ein Teil davon zu sein.

Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, was uns als Familie anders macht, als andere Familien. Da wäre zunächst einmal das Offensichtliche. Wir sind eine neurodivergente Familie. Jeder aus unserer Familie ist entweder autistisch, hat ADHS oder auch beides. Das macht das Leben manchmal ganz schön kompliziert, aber auch unglaublich bunt und vielfältig. Wir mussten das Konzept „Leben“ nochmal ganz neu für uns überdenken und sind auch immer weiter dabei.
Wir leben nicht etwa, einsam auf einem kleinen Dorf, sondern leben in einer Wohnung mitten in der Stadt. Mit lauten, wilden und freien Kindern nicht immer einfach.Wir sind aber gerne mitten im Leben und trotzdem unter uns. Im Wald und in der Natur sind wir ebenfalls viel und gerne unterwegs. Wir ziehen gerne von Spielplatz zu Spielplatz oder machen Ausflüge. Unser Leben mit Kindern ist bedürfnisorientiert.

Viele Menschen denken, dass es nicht möglich ist, ein bedürfnisorientiertes Leben mit Kinder mit Autismus/ADHS frei, mit wenigen Regeln und ohne Strafen auf Augenhöhe zu leben. Das Gegenteil ist der Fall. Sie profitieren, davon und es gibt viel weniger Probleme im Zusammensein. Sie möchten angenommen werden, wie sie sind und haben viel mehr Ressourcen zu kooperieren, wenn sie nicht gegen ihre Eltern ankämpfen müssen.
Mal abgesehen von den offensichtlichen Sachen wie Langzeitstillen. Tragen, Familienbett, BLW und Co. leben wir bedürfnisorientiert als ganze Familie. Das heißt, dass dies nicht nur die Kinder betrifft, sondern auch uns als Eltern.Wenn die Welt, für einen. Menschen so kompliziert ist, wie für uns, ist es die logische Konsequenz, sich das Leben so angenehm und einfach zu gestalten wie möglich. So bleiben mehr Ressourcen, für die Dinge, die schwerfallen. Also gestalten wir alles so barrierefrei, wie es möglich ist.

Menschen mit ADHS und vor allem Kinder, werden um ein vielfaches mehr kritisiert in ihrem Leben als neurotypische Menschen. Da ist es umso wichtiger, das häusliche Umfeld positiv zu gestalten.
Die Umwelt können wir nicht in Gänze ändern. Wir können gute Voraussetzungen schaffen wie freie Schulen, gute Kindergärten und so wenig Fremdbetreuung wie möglich. Dennoch können wir unsere Kinder nicht vollends davor schützen, von außen negatives zu erleben.So ist ein schützender Rahmen im häuslichen Umfeld, umso wichtiger, um ihre psychische Gesundheit für die Zukunft zu wahren.

Grenzen gibt es bei uns auch. Dies beschreibt aber nur das, was das Leben und vorgibt und unsere persönlichen Grenzen. Die Freiheit endet, wo sie beim nächsten beginnt.
Wir versuchen also Rücksicht aufeinander zu nehmen. Auf die individuellen Bedürfnisse und Eigenheiten der einzelnen Familienmitglieder. Und wir können es auch nicht ändern, dass der ZOO um 18:00 Uhr zu macht. Das ist eine Grenze, die das Leben eben so vorgibt.
Auch die persönlichen Grenzen von Anderen sind für uns wichtig, so dürfen die Grenzen von anderen Lebewesen auch nicht überschritten werden. Unsere Kinder werden nicht bestraft oder beschämt, sondern wir versuchen zusammen herauszufinden, was in dieser Situation schiefgelaufen ist. Das ist bei neurodivergenten Kindern noch einmal schwieriger. Die Kommunikation und sozialen Kompetenzen sind oft schwieriger und müssen in liebevoller Zusammenarbeit erlernt werden.
Die Gründe für schwieriges Verhalten erscheinen oft nicht nachvollziehbar. Man muss schon ein wahrer Detektiv sein, um sie herauszufinden. Aber es lohnt sich, so können wir nachhaltig erreichen, harmonisch zusammenzuleben.

Alle Kinder in unserer Familie sind selektive Esser. Umgangssprachlich – Picky Eater. Es gibt nur eine kleine Auswahl an Lebensmitteln, die sie essen. Das ist bei jedem Kind allerdings individuell. D.h., dass ein gemeinsames Essen eine Herausforderung darstellt. Wir haben deswegen unser ganz eigenes System entwickelt. Eine Mischung aus Kühlschrankfächern, Kinderbuffet und Snackbar.
So gibt es selten Frust und jeder bekommt, was er mag. Hier muss auch keiner am Tisch sitzen bei den anderen, wenn er nicht möchte. Jedes Kind hat die Option, zu einer anderen Uhrzeit oder in einem anderen Zimmer zu essen. Wir haben es aufgegeben, uns nach äußeren Normen zu richten. Haben aufgegeben, in die Gesellschaft passen zu wollen. Wir wollen nur friedlich in ihr existieren dürfen. Auch Ausflüge, Urlaube oder Spaziergänge sehen anders bei uns aus. Wenn eines der Familienmitglieder mit der Lage überfordert ist, drehen wir einfach um. Vollkommen egal, ob wir grade bezahlt haben.
Die Bedürfnisse unserer Kinder sind stärker als die bei anderen Kindern und müssen schnell erfüllt werden, d.h. oft, dass wir bei drei Kindern entscheiden müssen um, welches wir uns als Erstes kümmern. Auch unsere Bedürfnisse müssen oft hinten anstehen.

Wenn ich sagen würde, dass das nicht manchmal belastend ist, dann wäre das gelogen.
Aber es hat eben nicht nur diese Seite, sondern es ist auch lustig und bunt und anders und niemals langweilig. Du lernst, nicht mehr auf das zu hören, was andere sagen. Du fängst an, auf dich, auf deine Familie und eure Bedürfnisse zu hören. Das macht frei. Wir selber sind gerade dabei, auch unser Leben als Erwachsene zu überdenken.
Wir wollen unabhängiger sein von der Gesellschaft und mehr Ressourcen für uns und unsere Familie schaffen. Und wollen unser Leben, soweit um uns herum bauen, dass es uns allen gut geht.

Dennoch mitten in der Stadt zwischen allen Leuten im bunten Treiben leben können. Das ist unsere Art von Individualität von Freiheit von Bedürfnisorientierung.

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1 Kommentar

  1. Liebe Janina, wie schön, dass du bei meiner Blogparade mitmachst und diesen wundervollen Beitrag geschrieben hast!

    Was du schreibst berührt mich sehr. Dass ihr euch frei davon macht, Dinge so zu tun, “wie man sie halt macht”. Und ganz genau schaut, wer wann was braucht. Wie ihr euren Alltag gestaltet, mit all diesen verschiedenen Bedürfnissen, die erfüllt werden wollen. Wie ihr das häusliche Umfeld schützend und positiv gestaltet. Und auch darauf achtet, keine unnötigen Kämpfe zu führen.

    Und wie ihr Eltern euch selbst reflektiert, euer Leben als Erwachsene überdenkt und euch darin übt auf eure Bedürfnisse zu hören. Und Räume schafft im inneren und im Außen, in denen ihr Freiheit lebt.

    Ich danke dir von Herzen für den Einblick in euer Leben, eure Herausforderungen, eure Entscheidungen… euren Weg!

    Ganz liebe Grüße
    Lena

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