Autismus

Arztbesuche und andere Grenzüberschreitungen

Arztbesuche und andere Grenzüberschreitungen

Für Kinder mit Autismus und/oder Hochsensibilität, können Arztbesuche, eine echte Herausforderung sein. Volle Warteräume in denen Kinder spielen. Schreien und weinen aus Behandlungsräumen, komische Gerüche und unbekannte Menschen, denn in einer Arztpraxis, ist man in der Regel nicht allzu häufig, zumindest hoffentlich.
Nun muss das Kind in ein Zimmer und eine Fremde Person kommt ins Zimmer. Heute haben die Kinderärzte zum Glück, selten einen Kittel an, was für mich ein riesiger Fortschritt zu damals ist.

Dieser Mensch redet, erst mit den Eltern über das Kind und möchte, es dann berühren. Vielleicht soll das Kind sich sogar ausziehen. Und selbst wenn es schon etwas größer ist und ihm mehr erklärt wird, kann es den Sinn oft nicht sehen. Sich vor Fremden auszuziehen und anfassen zu lassen, ist für alle Kinder erstmal keine sehr angenehme Situation. Für autistische und hochsensible Kinder, aber noch gleich doppelt so schlimm. Sie weinen, drehen sich weg, wehren sich, aber es „muss“ ja sein.

Das mag auch oft der Fall sein, trotzdem sollte Zwang nur in potenziell tödlichen Situationen eine Option sein. Es sollten besser ein Weg gefunden, werden nicht gewaltsam über die Grenzen des Kindes zu gehen. Meist gibt es einen weg, auch ohne Zwang eine Kooperation mit dem Kind zu ermöglichen.

Das größte Problem, bei der Sache ist die Zeit. Kinderärzte sind chronisch überlaufen und müssen von einem Termin in den nächsten. Sie haben keine Zeit für Befindlichkeiten, auch wenn sich einige echt Mühe geben, können sie nicht ewig warten.  Ich verstehe das wirklich, trotzdem muss es einen Weg geben.

Ich versuche es deswegen mit so viel Vorbereitung wie möglich. Autistische Kinder, können mit unberechenbaren Situationen nicht gut umgehen und es bedarf deswegen ganz viel Erklärungsarbeit im Vorfeld. Viel, kennt man als Elternteil, ja schon selber. Standarduntersuchungen, aber auch Eventualitäten.

Ich gebe gerne ein Beispiel. Ludwig, muss zum Arzt, weil er starke Ohrenschmerzen hat. Sein Elternteil weiß, dass bei diesen Beschwerden, meist in Ohren und Mund geschaut wird und im Zweifelsfall auch mit einem Piecks Blut aus dem Finger genommen wird, zur Abklärung einer Entzündung. Sie erklärt ihm deswegen genau, wie der Arzt in seine Ohren und seinen Mund schauen könnte, womit er dies macht und wie sich das anfühlen könnte. Sie bespricht auch die Möglichkeit des Piecks. Sie zeigt zum Beispiel. mit dem Fingernagel wie sich ein Piecks anfühlen könnte, wenn Ludwig es wünscht. Als sie mit Ludwig in der Praxis ist, bleibt sie immer in seiner Nähe, hält Körperkontakt, wenn er das möchte und nimmt einen sicheren Gegenstand für ihn mit. Bis sie dran sind, geht sie nochmal alles mit Ludwig, durch, wenn er dies wünscht. Die Untersuchung ist durch und am Ende, muss der Piecks doch gemacht werden. Ludwig bekommt große Angst und weint. Sein Elternteil bietet ihm an, den Piecks als erstes an ihm selber zu testen. Ludwig schaut es sich genau an und willigt dann ein es auch zu probieren.

Das alles ist mit einem enormen Aufwand verbunden, ich weiß, aber die Traumata, die durch eine Gewaltsame Überschreitung der Körperlichen Grenzen entstehen können, sind eben auch nicht ohne. Nicht jedes Kind bekommt sofort ein Trauma, weil es beim Arzt war, aber Achtsamkeit und Vorbeugung, da wo es möglich ist, ist ratsam.

Als Elternteil von autistischen/hochsensiblen Kindern, muss man oft sehr einfallsreich sein und eine Menge Methoden und Ideen haben, um diese Situationen zu meistern.

Krankheit und Schmerzen, sind für sehr sensible Menschen, viel belastender als für andere. Krankheitsgefühle und auch schon leichte Schmerzen, können bei ihnen Angst, bis hin zur Panik auslösen.  Ein Kind von mir musste einmal ins Krankenhaus, wegen einem sehr starken Magen-Darm-Infekt. Im Krankenhaus waren, alle sehr feinfühlig und achtsam. Ich bzw. sein Opa waren im Wechsel 24/7 bei ihm und trotzdem, war es schlimm, als wir wieder nach Hause kamen. 14 tage war nachts nicht mehr an Schlaf zu denken. Jede Nacht wachte er nach 10min Schlaf wieder schreiend und kreischend auf und lies sich kaum beruhigen. Ich bekam, dann von einer Trauma Therapeutin, den Rat, alles detailliert mit ihm durchzugehen. Was war schlimm am Krankenhaus, was war gut. Was hat ihn gestört und warum wurden die Dinge dort so gemacht. In dieser Nacht hörte das weinen auf. Er konnte die Krankheit und die Schmerzen verarbeiten. Es war nicht der Umgang im Krankenhaus, sondern, der Kontrollverlust und das Gefühl des Schmerzes, was ihn so belastete.

Für mich sind die Ärztlichen Grenzüberschreitungen auf einer Seite verständlich, denn sie wollen dem Kind helfen. Manchmal, sind es aber vermeidbare Dinge, Dinge die nicht einmal mehr Zeit, sondern nur mehr bürokratischen Aufwand hätte. Auch dazu gebe ich euch gerne ein sehr persönliches Beispiel. Ich bin Mitte der 80er geboren. 1989 musste ich wegen einer Hirnhautentzündung ins Krankenhaus. Ich selber bin sicher Hochsensibel und ziemlich wahrscheinlich auch autistisch.

Täglich mussten bei mit Lumbalpunktionen gemacht werden. In den 80ern hielt man nichts davon, Kinder dafür in Narkose zu legen. Man hielt sie fest, fixierte sie und stach, dann schmerhaft mit der Nadel ins Rückenmark. Ich schrie und wehrte mich und meine Eltern bestanden darauf, die Vorgesetzten zu sprechen, aber sowas interessierte damals niemanden. Entweder sie tolerieren es, oder nehmen das Kind zum Sterben mit nach Hause. Unter diesem Druck entscheiden Eltern auch heute noch oft gegen ihren Willen, gegen ihr Bauchgefühl. Aber warum in Situationen wo es doch vermeidbar wäre?

Ich bin dadurch traumatisiert, habe mein Leben lang Ängste und Panikattacken und frage mich, ob es nicht sinnvoller ist, Methoden zu finden, nicht derart über die Grenzen von Kindern zu gehen.

Ich halte es deswegen bei meinen Kindern so, dass ich wie oben beschrieben, versuche Vorarbeit zu leisten und sollte ein Kind, trotzdem vollkommen aufgelöst sein und sich überhaupt nicht darauf einlassen können breche ich ab. Das geht natürlich nur bei Dingen, die aufschiebbar sind. Eine Mittelohrentzündung muss behandelt werden und kann nicht ewig warten, das ist klar. Aber auch dort, kann man bei einem zugänglichen Kinderarzt Kompromisse finden.

Es sollte auch hier kein schwarz und weiß, sondern Grautöne geben, um den Kindern möglichst wenig zu schaden.

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