
Emotionale Dysregulation Eltern und Kinder
Es ist vor allem ein Thema für Eltern, die selber von Autismus, ADHS oder Hochsensibilität betroffen sind. Eins ist klar, wenn wir unseren Kindern vermitteln wollen, wie Gefühle am besten und konstruktivsten verarbeitet werden können und wie man überhaupt mit Gefühlen umgeht, geht das nur, wenn wir Erwachsenen, selber wissen wie es geht und dies auch zeigen.
Was ist aber, wenn die Eltern, selber eine Regulationsstörung haben? Können diese Eltern, ihren Kindern überhaupt vermitteln, wie sie mit Gefühlen umgehen sollten?
Das ist ein Thema, was von mehreren Seiten betrachtet werden kann. Die Voraussetzungen, der Eltern spielen hier eine wichtige Rolle.
Haben die Eltern selbst schon eine spezifische Therapie oder Förderung bekommen? Vielleicht sogar im Kindesalter, weil sie schon dort diagnostiziert wurden? Wie wurde mit Gefühlen in ihrer Familie umgegangen? Wieviel Resilienz haben sie heute? Und meiner Meinung der wichtigste Punkt: Können sie sich reflektieren und sind gewillt und bereit dazu, an sich zu arbeiten und offen damit umzugehen?
Denn auch, wenn die Bedingungen erstmal alles andere als günstig zu seien scheinen, kann man als Familie wachsen und in einem offenen und reflektierten Umgang miteinander leben.
Dafür braucht es aber eine Menge Arbeit, grad wenn die Voraussetzungen alles etwas erschweren.
Was ist eigentlich das Problem einer emotionalen Dysregulation und wie sieht das Ganze im Erwachsenenalter aus?
Emotionale Dysregulation zeichnet sich durch veränderte emotionale Reaktivität aus: Entweder eine Überintensität oder eine Alexithymie (Gefühlsblindheit).
Schauen wir also erst einmal, beide Formen genauer an.
Emotionale Hyperreaktivität
Die Stimmungswechsel sind bei dieser Form überdurchschnittlich häufig und die Intensität wesentlich höher, als im Durchschnitt.
Im Allgemeinen, werden diese schnellen Stimmungswechsel, als Stimmungsschwankungen bezeichnet und können Beispielsweise von einem sehr positiven Gefühl, binnen kürzester Zeit, zu einer extrem gedrückten negativen Stimmung schwanken. Oft ohne ersichtlichen Grund und manchmal sogar für den Betroffenen kaum zu deuten.
Die Intensität der Emotionen ist laut den Betroffenen auch sehr hoch und oft kaum auszuhalten. Leider sind es meist eher die negativen Emotionen, die besonders betroffen sind. Ich weiß aus meiner eigenen Kindheit, dass ich gerne als „Dramaqueen“ oder „sterbender Schwan“ bezeichnet wurde. Außenstehende, können nicht verstehen, wie schlimm ein Gefühl für den Betroffenen auszuhalten ist und, dass er eben nicht „überdramatisiert“, sondern die Situation wirklich als dramatisch empfindet.
Gerne werden Betroffene auch als „Übersensibel“ bezeichnet. Dies ruft ein Gefühl, des „falsch sein“ oder „falsch Fühlens“ hervor und lässt sie an ihren eigenen Emotionen zweifeln. Starke Emotionen gelten in unserer Gesellschaft oft als Schwäche und werden negativ bewertet, was den Betroffenen dazu bringt sich zu maskieren, oder zurück zu ziehen.
Emotionale Hyporeaktivität
Anhedonie
Dies beschreibt die verringerte Fähigkeit Freude zu empfinden. Die Fähigkeit, negative Emotionen zu empfinden, bleibt weiter erhalten. Kann auch zusätzlich bei Hyperreaktiver Emotionalität Vorkommen, da diese eher die negativen Emotionen Betrifft und nicht so häufig, die positiven.
Alexithymie
Die Betroffenen spüren oft eine innere Leere und die Intensität ihrer Emotionen ist deutlich herabgesetzt. Sie beschreibt eine abgeschwächte Wahrnehmung alle positiven und negativen Emotionen. Man kann sie auch mit Gefühlsblindheit oder Gefühlslegasthenie beschreiben.
Der Betroffene spürt entweder eine Emotion und kann sie selber, nicht zuordnen, oder steht nicht in Verbindung mit seinen eigenen Emotionen. Er fühlt beispielweise ein negatives Gefühl, kann aber nicht sagen, ob es Wut, Trauer, Frustration oder Angst ist, oder findet keine Worte dafür. Oft geht dies einher damit, auch kein Verständnis für die Emotionen andere zu haben. Es mangelt nicht unbedingt daran, dass sie nicht mitfühlen wollen, sie können aber nicht verstehen, warum der andere grad so fühlt und sich auch nicht vorstellen, wie sie sich mit dieser Emotion fühlen würden. Menschen mit Alexithymie rationalisieren durch ein extremes Maß an analytischen Gedanken sehr und „fühlen“ nicht die Emotion selber.
Eine Abgrenzung zu anderen Störungen der Emotionalität sollte in diesem Fall aber immer erfolgen. Die Symptome können auch bei Kindheitstraumata (kommen häufig bei neurodivergenten Menschen vor), Callous-unemotional traits oder der Split-Brain Problematik auftreten.
Dysphorie
Eine weitere Komponente für emotionale Dysregulation ist die Dysphorie, die durch den gestörten Selbstwert vieler neurodivergenten Menschen (vor allem bei ADHS) hervorgerufen wird.
Neurodivergente Menschen müssen grad im Kindesalter bis zu 20000-mal mehr Kritik einstecken, als neurotypische Menschen. Zudem fühlen sie sich oft wie „falsch auf dieser Welt“ und nicht zugehörig. Sie passen nicht in die Gesellschaft und zweifeln an sich. Sie analysieren jede Interaktion und jede erledigte oder nicht erledigte Aufgabe und geraten dadurch, vor allem bei Ruhe in einen Dysphorischen Zustand.
Was ist nun die Schwierigkeit im Umgang mit den eigenen Kindern?
Auch dort sind beide Formen gesondert zu betrachten. Bei Überemotionalität, sind die Eltern für die Kinder oft unberechenbar. Die Stimmung wechselt, das Elternteil ist auf einmal furchtbar wütend oder tottraurig und das Kind, hat keine Ahnung warum. Es muss immer eine Art Obacht Stellung einnehmen und weiß nicht was als Nächstes passiert. Grad bei Kindern, die dieselbe Intensität von Gefühlen haben, kann das eine explosive Mischung sein und häufigen Streites und Missverständnisse hervorrufen. Außerdem lernen die Kinder auch nicht von ihren Eltern, wie sie effektiv mit ihren Emotionen umgehen können und sollen, denn die Eltern können es selber nicht.
Eltern mit herabgesetzter Emotionalität oder Alexithymie sind oft sehr autoritär und wenig nachgiebig. Sie kontrollieren und haben ein Problem ihren Kindern die nötige Freiheit zu gewähren. Auch ein respektvoller, mitfühlender Umgang ist häufig der Fall. Das ist fatal für den Selbstwert des Kindes. Außerdem lernt es nicht seine eigenen Emotionen zu erkennen oder zu benennen und auch nicht damit umzugehen.
Im Endeffekt, haben beide Formen ein gemeinsames Problem. Das Kind kann nicht am Modell ihrer Eltern lernen, wie es seine Emotionen erkennt und damit umgeht. Es kann keine Bewältigungsmuster übernehmen und nimmt sich entweder, das Elternteil zum Vorbild oder findet selber eigene Bewältigungstategien.
Wie kann ein Zusammenleben und bewältigen von Emotionen trotzdem funktionieren?
Das alles klingt nun erstmal ziemlich negativ und ausweglos. Ist es aber nicht. Grad, wenn wie bei uns beide Elternteile betroffen sind, braucht es Strategien und einen immensen Willen zur Kooperation.
Ich könnte euch jetzt eine Menge fachliche, theoretische Ratschläge geben, habe mich aber zunächst dafür entschieden, euch zu erzählen, wie wir das handhaben. Ich glaube gelebte Ratschläge sind in diesem Fall einfach greifbarer für selber Betroffene. Gerne danach auch noch eine fachliche Aufstellung für Nicht Betroffene.
Bei uns zuhause, gibt es beide Formen. Ich selber bin der Hyperreaktive Typ und mein Mann eher der Hyporeaktive Typ. In unserem Alltag führt, dass erstmal als Paar häufig zu Missverständnissen. Jemand der Hyporeaktiv ist, kann die intensiven Gefühle einer Hyperreaktiven einfach nicht nachvollziehen. Also haben wir eine Möglichkeit gefunden, die auch in vielen Situationen sehr gut hilft. Reden! Mein Mann versteht meine Gefühle nicht, aber er fragt mich warum. Auch, wenn er sie trotzdem nicht nachvollziehen kann und unlogisch findet, weiß er nun warum. Damit ich dann überhaupt die Möglichkeit habe konstruktiv zu sprechen, nimmt er dann mein Gefühl so an wie es ist. Dann bin ich jetzt grad echt verzweifelt und das ist in Ordnung. Nun kommt es auf den Grund der Situation an, aber häufig ist der nächste Schritt mir das Gefühl der Sicherheit zu geben, der Annahme meiner Gefühle und ggf. der Co Regulation des Tröstens. „Ich verstehe nicht, warum du dich so fühlst, aber ich bin da. Wenn meine Gefühle etwas abgeflacht sind, können wir darüber reden. Meine Sicht, seine Sicht und eine Mögliche Lösung, falls es eine gibt, ansonsten versuchen wir, die Sicht des anderen anzunehmen. Ist manchmal schwierig, denn Menschen mit der hypereaktiven Form haben oft ein schwarz-weiß denken und haben kein Gefühl dafür, dass schlechte Gefühle und Zustände auch wieder vergehen. Es ist für sie so, als wäre es für immer und vollkommen endgültig. Schwer für den Betroffenen, aber auch die Angehörigen.
Und genau aus diesem gegenseitigen Umgang, resultiert, dann auch der Umgang mit den Kindern.
Ich als überschäumendes Temperament, brauche manchmal meinen Mann, der mich aus der Situation nimmt, oder schaffe es, in Situationen wo ich alleine bin, einfach kurz aus der Situation zu gehen. Wichtig hierbei ist aber, grad im Umgang mit neurodivergenten Kindern, immer genau zu kommunizieren warum man den Raum verlässt und dass man gleich wiederkommt. Sie neigen häufig dazu noch mehr zu „klammern“, wenn sie unsicher sind, was die Situation unter Umständen verschärft.
Ich versuche außerdem meine Gefühle immer genau zu benennen und ggf. auch zu erklären, dies aber dem Alter und der Situation angepasst. Laut aussprechen ist aber in dem Fall das Wichtigste, Was mir hierbei auch wichtig ist, ist die Gefühle immer ganz klar bei sich zu lassen. Das Kind hat keine Schuld an meiner Wut oder meiner Enttäuschung. Und genau dieses Gefühl muss das Kind auch haben. Sonst kann das fatale Folgen für seine emotionale Gesundheit haben. Je weniger Unsicherheiten es gibt, desto sicherer fühlt sich das Kind. Bei Angst versuche ich außerdem auch zu beschreiben. Dass es nicht unbedingt eine bedrohliche Situation ist, aber dass meine Angst eben größer als bei anderen ist und mir Dinge Angst machen, die für andere vollkommen normal sind. Es gibt auch ganz tolle Bücher zu diesem Thema.
Darüber hinaus spreche ich mit den Kindern darüber, wie ich selber mit den Gefühlen umgehe und was sie in bei dem Gefühl machen könnten. Beispielsweise bei Wut, in ein Kissen schreien, Socken werfen, eine Boxbirne hauen. Oder bei Angst oder Aufregung Fidget Toys oder andere sensorische Reize wie Wärme/Kälte, extreme Gerüche oder Geschmäcker oder gern auch Denkspiele wie Assoziationsketten.
Bei meinem Mann ist es für mich schon schwieriger konstruktive Wege zu finden. Wichtig, ist es mir, dass Unrecht benannt wird. Kein Bloß stellen, aber deutlich benennen, wenn eine Grenze überschritten wurde, oder etwas verletzendes oder übergriffiges gesagt wurde. Wichtig ist aber, dass der andere sich nicht kritisiert, sondern auch verstanden fühlt. „Ich verstehe, dass dich das grad wütend macht, aber wir finden bestimmt eine Lösung und könnten klären, warum es zu dieser Situation gekommen ist“. Ich habe Das Gefühl, dass dadurch überhaupt erst eine Lösung gefunden werden kann. Eigentlich ist es ein bisschen, wie bei Emotionen bei Kindern. Das Gefühl benennen, darüber sprechen und Lösungen finden. Ich versuche ihm, dann wenn die Kinder nicht mehr dabei sind, auch zu erklären, warum das betreffende Kind so reagiert hat. Jedes menschliche Verhalten ist erklärbar und für einen sehr rational denkenden Menschen, schafft dies häufig mehr Verständnis. Lösungswege sollten genauso nachvollziehbar sein.
Also Unrecht ansprechen, auch direkt vor den Kindern, damit sie wissen, dass manche Dinge nicht in Ordnung sind. Ihnen stellvertretend für den anderen, die Sicherheit geben, dass ihre Gefühle immer in Ordnung sind. Dem hyporeaktiven Betroffenen zusichern ihn zu verstehen und nicht das Gefühl des Bloß Stellens geben. Rational erklären und Lösungen finden, die für alle Parteien passen. Ich finde es auch wichtig, offen mit den Kindern zu sprechen. Altersgerecht, aber trotzdem klar. Zu sagen, dass es uns als Eltern auch oft schwer fällt mit unseren Gefühlen zurecht zu kommen und dass wir auch nicht immer gut oder richtig reagieren.
Zusätzlich können alle aus der Familie auch eine Therapie machen um an genau diesem Thema zu arbeiten und Strategien zu erlernen. Es ist nichts Schlechtes und kein Zeichen von Schwäche sich Hilfe zu holen.
So funktioniert es bei uns als Familie ganz gut. Je nach Verfassung der Familienmitglieder mal mehr und mal weniger. Das kann kein Patentrezept sein, denn jeder Mensch ist anders und grad bei neurodivergenten Menschen muss sehr individuell geschaut werden, aber ich denke einige Dinge, die ich hier geschrieben habe, treffen auf viele andere Neurodivergente Familien zu und kann ihnen vielleicht ein paar Anregungen und Ideen bringen.
Wenn ihr intensivere Fragen habt, oder über eure eigene Situation sprechen wollt, schreibt mich gerne an.